Thursday, February 20, 2014

Die Welten der Wahrnehmung


„Menschen müssen im Unterschied zu anderen Lebewesen um ihr Selbstverständnis ringen. Wir können an uns zweifeln und dabei auch verzweifeln, über uns selbst hinaus denken und uns dabei auch verlieren: Wer lange Zeit verzweifelt ist, ohne Trost und Halt zu finden, wer seine Gefühle nicht mehr mitteilen kann oder sie nicht mehr aushält, kann depressiv werden oder, wenn er die Flucht nach vorn ergreift, auch manisch. – Wer sehr dünnhäutig ist, kann in Lebenskrisen so durchlässig werden, dass er seine Grenzen verliert. Die Wahrnehmungen können eigensinnig werden, die Gedanken sprunghaft... [Wer so fühlt], ist also kein Wesen vom anderen Stern, sondern reagiert zutiefst menschlich."

Wir sehen und kennen unsere Umwelt durch unsere Wahrnehmung. Die Wahrnehmung wird dabei durch unsere Stimmung beeinflusst und unsere Stimmung durch unsere Wahrnehmung. Wir glauben zu sehen und zu wissen, dabei kommen nur 30% der Nerven im Seh- und Hörzentrum von Auge und Ohr. Da sich unser Gehirn fortlaufend verändert ist anzunehmen, dass sich mit zunehmendem Alter auch unsere Wahrnehmungen und Stimmungen verändern. Wie schnell und überwältigend dieser Wandel sein kann, wird jeder Teenager am besten wissen. Es ist nicht sehr abwegig in dieser Zeit von Psychosen zu sprechen, ganz natürlich, aber kaum als solche benannt - klar, geben wir einer Lebenslage einen weniger geläufigen Namen hört es sich krankhaft an.



Dabei, wenn wir diese Stimmungslage in bestimmten Phasen unseres Leben erstmal als solche, was es ist benennen würden, wäre es nicht viel leichter aktiv an dieser Lebenslage zu arbeiten und in den Griff zu bekommen? Stattdessen verharmlosen wir es als temporäre Stimmungsschwankungen und nehmen fahrlässig in kauf, dass sich die Entwicklung von Wahrnehmung und Gehirn langanhaltend negativ entwickelt. Mit der Gefahr ein Leben lang anfällig für psychotische und oder depressive Phasen zu sein.
Denn solche Phasen begegnen uns nicht nur im jungen Alter, wo wir aus dem Selbstverständnis unserer Eltern hinaustreten. Sondern auch dann wenn wir erneut mit einer veränderten Lebenslage konfrontiert werden. Man zieht sich zurück, ringt nach Autonomie, nach einem Ort, an dem man unangreifbar die Ruhe zu haben glaubt um das verlorene Selbstverständnis wiederzuerlangen. Diese Phasen der Unsicherheit exzessiv mit Alkohol, Tabak, Schmerzmitteln und anderen Drogen zu betäuben sollten für Familie und Vertraute eigentlich eine Alarmierung sein, aber auch das wird nicht selten nur zur Kenntnis genommen, da gesellschaftlich in den meisten Fällen akzeptiert oder kriminalisiert und ignoriert.

Unsere Wahrnehmung verändert sich fortlaufend. Gerüche verändern sich, das schauen eines Films, das Lesen eines Buches, das Autofahren, das Lieben, das Essen... das Atmen... Bei jeder Veränderung ringen wir mit unserem Selbstverständnis. Damit umgehen zu können, sich anzupassen, macht sicherlich den Unterschied zu einem "verrückten" und einem "normalen" Menschen aus. Diese Menschen sind so viel echter und authentischer, warum fällt es mir so schwer mit ihnen umzugehen?
Und dann ertappe ich mich selbst dabei, wenn ich in einer Phase der Selbstreflexion mich von meinem selbstverstandenen Ich entferne und dabei irgendwann die Selbstreflexion an sich in Frage stelle und reflektiere und wieder das Infragestellen in Frage stelle, ich mich, versunken in Gedanken, von mir selbst entkoppelt zurückziehe um wieder zu meinem selbstverstandenen Ich zurückzufinden...